„Wenn man sich nicht bewegt, spürt man Lähmung nicht. – Lähmung wird erst dann spürbar, wenn man an die Grenzen der Beweglichkeit stößt.“
Die Künstlerin Eva Brenner konfrontiert sich in Ihrer Arbeit „Jetzt“ mit dem Zustand der Lähmung und deren Überwindung. Als Rollstuhlfahrerin erlebt sie Lähmung am eigenen Leib, durch räumliche Barrieren, gesellschaftliche Zuschreibungen, Nichtteilhabe und Exklusion.
Das Gefangensein in dieser Situation visualisiert sie in ihrer Arbeit „Jetzt“ durch die obskure Masse eines 10m x 10m großen Netzes aus fragmentierten Röntgenbildern und dessen performativer Bespieglung. Röntgenbilder durchleuchten den menschlichen Körper immer dann, wenn seine Unversehrtheit in Frage gestellt wird. Gleichzeitig ist mit dem Warten auf das entwickelte Röntgenbild die Hoffnung auf Heilung verbunden. Ein Röntgenbild zeigt das Innere des Menschen nur in Ausschnitten. Dieser Logik folgend werden die fragmentierten Fotografien aus dem Körperinneren weiter zerteilt, in je 4cm x 4cm große Quadrate zerschnitten und mit Ösen und Bändern zu einem 100 qm großen Netzwerk verknüpft. Die auf dem Röntgenbild fixierte Diagnose wird durch diese Zerstückelung ihrer Bedrohlichkeit beraubt – so, wie die Krankheit ihrer Bedeutung. Das Röntgenbild als Material reduziert sich auf seine Grauwerte, Hell-, Dunkelkontraste oder die ornamentale Qualität. Durch diese unorthodoxe Behandlung erfährt das eigentlich steife Material eine Transformation in die Beweglichkeit, aus der Zweidimensionalität in die Dreidimensionalität. Das neu entstandene Gewebe oszilliert zwischen Skulptur, Bühnenbild und Kostüm, changiert zwischen opak und diaphan.
Performative Umsetzung
Die Künstlerin ist Teil der Skulptur, eingehüllt in dieses Netzmaterial, wie in einen Kokon. Das Netzt bedeckt, tarnt und schützt, hindert sie jedoch durch sein Gewicht gleichzeitig an der Fortbewegung. Ziel ist es, mit Hilfe von Gehstöcken, eine am Boden liegende Bronzeplatte zu erreichen – einen Klangkörper auf dessen Oberfläche die Grafik des Audiosignals für das Wort „Jetzt“ eingraviert ist. Mit dem Erklingen der hohltönenden Platte wird der konkrete Moment, das „Jetzt“ markiert. Das „Jetzt“ als der Moment, in dem Freiheit möglich ist.
Die Künstlerin kämpft sich aus der Netzskulptur heraus, zieht das Gewebe, wie einen riesigen Schutzmantel hinter sich her, bis dessen Masse sie zurück hält. Ein Geschwader aus Transportdrohnen durchbricht diese Stagnation, wie ein „deus ex machina“. Das Drohnengeschwader greift das Netz auf, befreit die Künstlerin von ihrer Last und hebt es zu einem Baldachin über den Klangkörper empor. Die Künstlerin ist ihres Schutzmantels beraubt und in ihrer Gelähmtheit ausgestellt (vgl. Joseph Beuys „Zeige deine Wunde“).
Beim Betreten der Bronzeplatte erklingt der Ton.Das „Jetzt“ ist eingeläutet. Der Moment, von dem aus alles anders werden kann.
Die Drohnen tragen das Netz wie einen fliegenden Teppich davon …